Erdmann
Neumeister
Am 27. September 1715 füllte eine andächtigen
Gemeinde die St. Jakobikirche bis auf den letzten Platz. Als der
letzte Vers des Hauptliedes angestimmt wurde, richteten sich aller
Augen voller Spannung nach der Kanzel. Sollte doch die Gemeinde an
diesem Tage einen neuen Hirten erhalten in der Person des bisherigen
Oberhofpredigers, Konsistorialrates und Superintendenten zu Sorau
,
Erdmann Neumeister, dem ein bedeutender Ruf als tüchtiger Prediger,
treuer Seelsorger, hochbegabter Dichter geistlicher Lieder und
unerschrockener Streiter für die Reinheit des lutherischen
Bekenntnisses vorausgegangen war. Und um so größer war die
Spannung, in welcher die Gemeinde dem ersten Auftreten ihres neuen
Pastoren entgegensah, als Neumeister schon am 7. April zum
Nachfolger des sel. D. Johann Riemer erwählt worden war und man
mehr als fünf Monate auf seine Übersiedelung nach Hamburg hatte
warten müssen. Als die Gemeinde die Predigt Neumeisters über
2.Mose 19, 3-6 gehört hatte und der feierliche Akt der Vorstellung
und Einführung des neuen Seelenhirten vorüber war, verließ sie
hochbefriedigt das Gotteshaus. Auf der Jakobikanzel – das wussten
sie nun – werde ihr auch fernerweit Gottes Wort nach Luthers Lehre
unverfälscht gepredigt werden. Einundvierzig Jahre lang hat
Neumeister auf dieser Kanzel in guten und bösen Tagen unentwegt und
unverzagt seines Amtes gewaltet, - eine Säule der lutherischen
Rechtgläubigkeit, die bei einem Manne wie Neumeister von rechter Gläubigkeit
nicht zu trennen war.
Erdmann Neumeister
war 44 Jahre alt, und schon in einer achtzehnjährigen, von
mancherlei Kampf und Prüfung durchwobenen Amtsführung bewährt,
als er nach Hamburg kam.
Geboren am 17. Mai 1671 (12. Mai 1671) zu
Üchtritz (heute
Uichteritz) bei Weißenfels als Sohn eines frommen Schulhalter
und Wirtschaftsschreibers auf den gräflich Pollnitzischen Gütern,
hatte er als Knabe sich am liebsten in Feld und Stall
umhergetrieben. Mit vierzehn Jahren war erst der Trieb zum lernen
bei ihm erwacht. In Schulpforta ausgebildet, konnte er schon mit
achtzehn Jahren zur Universität abgehen. In Leipzig hörte er mit
Begeisterung die biblischen Vorlesungen August Hermann Frankes.
1695 wurde er Magister und hielt unter anderen Vorlesungen über
Dichtkunst, die er selbst auch ausübte. Es war die Zeit der ersten
Schlesischen Dichterschule. Neumeister schrieb:
„über
die allerneueste Art zur reinen und galanten Poesie zu gelangen.“
Eine Brunnenkur in Bibra, der er sich 169?
Unterziehen musste, führte zu seiner Berufung als Pfarrer nach
Eckartsberga, 1704 berief ihn der Herzog Johann Georg von Sachsen
als Hofprediger nach Weißenfels. Hier schrieb er sein
bekanntes, vielfach aufgelegtes Kommunionbuch:
„Der Zugang zum Gnadenstuhl Jesu Christi.“
Auch verfaste er hier seine ersten geistlichen
Kantaten über alle Sonn-, Fest- und Aposteltage,
„in ungezwungenen teutschen Werken
ausgefertiget.“
Im Jahre 1706 folgte er der Schwester des
Herzogs und ihrem Gemahl, dem Grafen von Promnitz, als
Oberhofprediger, Konsistorialrat und Superintendent nach Sorau in
der Niederlausitz. Neun Jahre lang waltete Neumeister hier seines
Amtes in großer Treue. Hier reifte er im Kampf mit unlauteren
Pietisten, Schwärmern und Fanatikern einerseits, wie mit dem sündhaften
Treiben am gräflichen Hofe andererseits zu der machtvollen
lutherischen Zeugengestalt, als welche er nach Hamburg kam. Gegen
den wegen seiner chiliastischen Schwärmereien seines Amtes als
Superintendent in Lüneburg enthobenen D. Johann Wilhelm Petersen,
der in und um Sorau mit seiner Lehre vom tausendjährigen Reich und
der Wiederbringung aller Dinge die Gemüter verwirrte, und gegen die
von schwärmerischen Pietisten ins Leben gerufenen Kinderbetstunden
mit den in ihrem Gefolge entstandenen Kindererweckungen predigte
Neumeister und richtete gegen D. Petersens „freimütige
Anrede“ seine „freimütige Widerrede“.
Eine Frucht dieser Kämpfe war seine Postille:
„Priesterliche Lippen in Bewahrung der Lehre.“
Von seinem Grafen hatte er viel Feindschaft zu
erdulden. Dennoch schlug er einen im Jahre 1710 an ihn ergehenden
Ruf an die Gnadenkirche zu Freystadt aus, weil er sich von der
Gemeinde, deren volle Liebe er besaß, nicht trennen mochte. Als
aber 1715 die Hamburger ihn zum Pastor an St. Jakobi begehrten,
konnte er nicht widerstehen. So hielt er denn unter den Tränen der
ganzen Stadt seine Abschiedspredigt:
„Sorauischer Abschiedskuß aus dem Evangelio des 3. S. in
Trin.“
Und unter dem Geleite der gesamten Bürgerschaft
zog er von dannen. Auf einer Anhöhe vor der Stadt, von der man die
Stadt und das gräfliche Schloss überschauen konnte, soll
Neumeister mit prophetischen Worten ein Wehe über das
Grafengeschlecht errufen und dessen Untergang verkündet haben. Fünfzig
Jahre später, 1750, ging wirklich die gräfliche Herrschaft zu
Ende.
In Hamburg bereiteten ihm seine Freunde einen
ehrenvollen Einzug und Neumeister freute sich auf seine Arbeit in
dem Hamburgischen Zion.
Neumeisters
Predigten fanden den größten Beifall. Um seinen Zuhörern in der
gedrängt vollen Kirche das Auffassen derselben zu erleichtern, gab
er jeden Sonnabend einen kurzen Entwurf seiner am folgenden Tage zu
haltenden Predigt heraus. Es waren die sogenannten „Denkzettel“
oder „Texte“ die Neumeister zuerst in Hamburg einführte.
Sie enthalten auf einem Viertelbogen das Thema und die Einteilung
der Predigt nebst einem von Neumeister verfassten Liede. Diese
Lieder waren „das starke Siegel, welches Neumeister bei dem
Beschluss seiner erbaulichen Predigten seinen Zuhörern zu festerer
Bewahrung des gepredigten Wortes in ihre Herzen eingedrücket.“
Die „Texte“ wurden bei der Gemeinde so beliebt, dass Neumeister,
als er einundsechzig Jahre im Amte gewesen und durch sein Alter gelähmt
und erblindet, die Kanzel nicht mehr besteigen konnte, auf Bitten
der Gemeinde noch anderthalb Jahre fortfuhr, „Texte“
herauszugeben. Die meisten seiner Predigten, sowohl die in den sonntäglichen
Hauptgottesdiensten, als die in den Wochengottesdiensten gehaltenen,
gab Neumeister außerdem noch in ausführlicher Gestallt, teils in
Einzeldrucken, teils in Sammelwerken heraus. Die Predigten waren
nicht nur korrekt in der Lehre, sonder auch von großer Glaubenswärme
und von erwecklichem Ernste. Die Sünder zur Buße und die bußfertigen
Sünder zu Jesu, dem Sünderheiland zu führen, war Neumeister
eifriges Bemühen. Das bezeugen schon die Titel einiger seiner
Predigten:
„Heilige Namenslust an dem Herrn Jesu“
„Gewissheit
der ewigen Seligkeit im Glauben, im Leben, im Sterben“
„Rechtschaffene
Früchte der Buße“
„Die
Güte und der Ernst Gottes zu unserer Belehrung“
„Das
christliche Schaffen selig zu werden mit Furcht und Zittern“
u.s.w. Am zweiten
Reformations-Jubelfeste, den 31. Oktober 1717, stellte Neumeister in
einer Predigt über Sach. 14, 6 u. 7 seiner Gemeinde
„die angenehme Gestallt des Kirchenhimmels
vor, welche der Gott aller Gnaden durch die gesegnete Reformation
Lutheri in den letzten Tagen wiedergebracht.“
An
diesem Kirchenhimmel sah Neumeister mit wachsender Besorgnis
drohende Wolken emporsteigen, und der treue Wächter hielt es für
seine heilige Pflicht, das lutherische Kirchenvolk vor dem kommenden
Wetter zu warnen. Die Gefahr erblickte er auf der einen Seite in dem
Vordringen des Calvinismus mit seinen Unionsbestrebungen, auf der
einen Seite in dem Umsichgreifen des Pietismus mit seinen
Ausartungen. Schon im Jahre 1719 hatte er in einem Missive an das
Ministerium geschrieben:
„Iterum
censeo Carthaginem tam Papisticam, quam Calvinisticam esse delendam“.
(Wiederum
stimme ich dafür, dass sowohl das papistische wie das
valvinistische Karthago zerstört werden muss.)
Durch eine
gemeinsame Erklärung des Ministeriums wollte er die Gemeinden
gewarnt wissen, damit nicht die Nachkommen sagen möchten, die
Mitglieder des Ministeriums seien Verräter und Schüler gewesen.
Als nun in dem selben Jahre der Kanzler der Universität Tübingen,
Christian Klemm, in seiner Schrift:
„Nötige
Glaubenseinigkeit der protestantischen Kirchen“
auf eine
Union der lutherischen Kirche mit der reformierten drang und auch
das corpus evangelicorum die Frage einer eingehenden Prüfung
unterzog, da griff Neumeister zur Feder und schrieb unter Berufung
auf seine vor dem Angesicht Gottes und seiner Gemeinde übernommenen
Amtsverpflichtung,
„von welcher auf die Seele gebundenen
Pflicht er weder aus Menschenfurcht noch um Menschengunst abweichen
wolle, so lange noch ein Odem aus seinem Munde gehe,“
eine Abwehr
unter dem Titel
„Kurzer
Beweis, dass das jetzige Bereinigungs-Wesen mit den sogenannte
Reformierten oder Calvinisten dem ganzen Catechismo schnurstraks
zuwider lauffe: nebst einem Anhange, darinnen die
Bereinigungs-Punkte untersucht werden. Mit Genehmhaltung und
Approbation C.C. Ministeriee, Hamburg 1721.“
Die Schrift
erregte großes Aufsehen und das besondere Missfallen des Königs
Friedrich Willhelm I. von Preußen. Neumeister hatte voraus gesehen,
das man mit seiner Schreiart nicht zufrieden sein werde. „Ich
kann keine Feder von Samt und Seide machen,“ hatte
er schon in der Vorrede zu seinem kurzen Beweis geschrieben. Er
finde auch nirgends in der heiligen Schrift, dass man offenbaren
Feinden und Verrätern der Religion glimpflich begegnen sollte. Übrigens
sei seine Schrift nur gegen die irrige Lehre selbst und die Lehrer,
welche dieselbe erdacht, nicht gegen die reformierten Schriften
insgemein gerichtet. Ebenso wenig sei dieselbe wieder hohe und
andere Obrigkeit gerichtet. In der Vorrede zu einer unter dem Titel:
„Geistlicher
Adel“
ebenfalls im
Jahre 1721 herausgegebenen Predigtsammlung widerlegte Neumeister die
Klemm`sche Schrift über die Glaubenseinigkeit der protestantischen
Kirche. Er schrieb:
„Wer
den Titul recht einsiehet, dem ist es was Betrübtes und Ärgerliches,
dass unter dem Rahmen der Protestierenden Kirche die Lutheraner mit
dem Calvinisten in einen Kessel zusammengeworffen werden.“
Nunmehr
forderte der König von Preußen von dem Rat zu Hamburg, „das
der Urheber der unter dem Namen des berüchtigten Erdmann Neumeister
gedruckten Schartese exemplarisch bestraft werde.“ Auch
die Generalstaaten in Holland verlangten aufs nachdrücklichste die
Bestrafung Neumeisters. Der Rat bat am 16. Januar 1722 das
Ministerium, die Schrift zu unterdrücken, da sie auch im Lüneburgischen
konfisziert sei. Das Ministerium erwiderte, dasselbe habe nach sorgfältigster
Prüfung die Schrift approbiert. Sie sei auch nicht gegen die
hiesigen Reformierten gerichtet, sondern gegen die Dogmatiker; diese
sollten billig ihre Federn gebrauchen, sie zu widerlegen und nicht
hohe Puissanzen (Machthaber) behelligen. Dem Ministerium läge es
ob, für das Hefte der Kirche zu sorgen; das ausgebrochene
Unionswerk könne aber der Kirche nur zum Schaden gereichen.
Neumeister
ließ sich auch nicht einschüchtern. Er schrieb u.a.:
„Untersuchung
der Frage, ob in Erdmann Neumeisters wider das Unionswerk
gerichteten Schriften etwas enthalten sei, welches mit der
christlichen Liebe und Sanftmut streite, oder auch injuriös sei und
den Reichs-Constitutionen zuwider laufe.“
Als der Kurfürst
von Hannover in seiner Eigenschaft als Kreisoberster des niedersächsischen
Kreises den Buchhändlern den Vertrieb einer dieser Schriften
untersagte, fühlte sich das Ministerium kompromittiert und
verlangte von dem Rate eine Aufhebung des Verbotes und einen Bericht
an die hohen Häupter, der sie eines Besseren belehren solle.
Andererseits verlangte der König von Preußen, man solle „den
bekannten Neumeister exemplarisch bestrafen und ihm ein Traktament
wenigsten wie dem D. Krumbholz bereiten!“
Als der Rat
dem Ministerium dies am 6. Februar 1722 mitteilte, konnte dieses in seiner Erwiderung nur seinem Erstaunen über solche
Gedanken des corpus evangelicorum Ausdruck geben und an das Wort des
Apostels erinnern:
„Fürchtet
euch vor ihrem Trotzen nicht und erschrecket nicht. (1. Petri 3,
14).
Es geschah
denn auch Neumeister nichts.
Einige Jahre später wurde Neumeister in
einen neuen Streit verwickelt. Als nämlich am 2. Oktober ein Edikt
erschien, welches den sogenannten „Lehr-Elenchus“ oder
die Bestrafung der Lehrirrtümer auf der Kanzel einschränkte und
den Gebrauch der Wörter „Pietist“
und „Pietisterei“ verbot,
trat Neumeister mit einem
„Beweis,
dass die Marbergersche sogenannte schriftmäßige Betrachtung des
Lehr-Elenchus nicht schriftgemäß sei“,
sofort wieder
auf den Plan. Und bald darauf warf er den ganzen Pietismus den
Fehdehandschuh hin mit einer ausführlichen Schrift:
„Kurzer
Auszug Spenerischer Irrtümer“,
welche der
Erkenntnis der Wahrheit zur Gottseligkeit nachteilig fallen, wie
solche nach der Richtschnur des göttlichen Wortes in christlicher
Bescheidenheit geprüft und hierauf anderen, insonderheit denen,
welche mit ungeordneter Liebe und Hochachtung an den Spenerischen
Schriften hangen, zur Belehrung in Druck gegeben worden. Hamburg
1727.
Die Schrift
erregte überall das größte Aufsehen. Sie wurde in Sachsen sofort
verboten und eine Flut von Schmähschriften, die zum Teil Neumeister
persönlich verunglimpften, ergoss sich gegen den unerschrockenen
Zeugen, der wiederum seinen Gegnern die Antwort nicht schuldig
blieb. Zu jener Zeit dichtete Neumeister:
-
und gieb, dass unser Lebenslauf
von
Herzen fromm und nie dabei
kein
pietistisch Wesen sei!
Einige Jahre
später, 1736, trat Neumeister auch gegen die Herrnhuter auf. Die
theologische
Fakultät zu
Tübingen hatte in einem Gutachten „die mährischen Brüder
zu Herrnhut“ für gut lutherisch
erklärt. Neumeister schrieb ein
„Meine
tekel dieses Bedenkens“
und wies
nach, wie dasselbe
„Nach
der Wahrheit des göttlichen Wortes und der gesunden Theologie in 35
Punkten abgewogen und zu leicht befunden worden.“
Auch gegen
die Lieder und Gesänge des Herrnhutischen Gesangbuches richtete er
einen Angriff. Alle diese Streitschriften gingen nicht aus Lust am
Streiten hervor, sondern Neumeister hielt es für eine heilige
Gewissens- und Amtspflicht, jeden Aufkommen einer falschen Lehre und
Richtung in der lutherischen Kirche mit rücksichtsloser
Entschiedenheit entgegenzutreten; denn es handelte sich für ihn
dabei um die seligmachende Wahrheit, die auch nicht durch einen
Tropfen Giftes irriger Lehre verderbt werden durfte.
Die polemischen Schriften Neumeisters haben ihm den Ruf eines
lutherischen Fanatikers eingetragen. Aber Neumeister war kein
Fanatiker. Er war ein von Herzen frommer, lautere und demütiger
Diener seines Heilandes, der bei allem Eifer im Streit niemals seine
Hirtenpflichten vernachlässigte und von seiner Gemeinde geliebt und
geehrt wurde. Derselbe Mann, der den Gegnern der lutherischen Kirche
mit so scharfer Klinge entgegentrat, verstand die Hände zu falten
und schenkte seinem Volke köstliche Erbauungsschriften wie z.B. das
schon erwähnte Kommunionbuch:
„Zugang
zu dem Gnadenstuhl Jesu Christi“
und das
Gebetbuch
„Geistliches
Räucheropfer.“
Und er war
ein Geistlicher Liederdichter von Gottes Gnaden. Wie meisterhaft
verstand er die Harfe zu Ehren seines Gottes und Heilandes zu rühren.
Mehr als Siebenhundert geistliche Poesien sind von ihm im Druck
erschienen, meistens als Bestandteile von Kirchenkantaten zur
Verherrlichung der schönen Gottesdienste des Herrn. Der Herausgeber
seiner
„Fünffachen
Gott und seinem Dienst gewidmeten Kirchen-Andachten,“
Friedrich
Tilgner, rühmt von ihm, dass er
„als
der Erste unter uns Deutschen die Kirchenmusik durch die Einführung
geistlicher Kantaten in besseren Stand gebracht und in den jetzigen
Flor versetzt hat.“
Unter den
geistlichen Liedern Neumeisters, die teils
in seinen „Kirchenandachten“
und in dem Kommunionbuch: „Der Zugang zum Gnadenstuhl“,
teils in den beiden Teilen seines „Evangelischen klanges“
erschienen sind, ragen hervor als wahre Perlen des evangelischen
Kirchenliederschatzes das Glaubenslied:
„Jesu,
großer Wunderstern.“
Man wird sich
kaum ein Epiphanienmissionsheft ohne dies innige und sinnige Lied
denken können. Und doch war Neumeister kein Freund der
Heidenmission, die damals von seinen kirchlichen Gegnern, den
Hallenser Pietisten, ausging. Eine Himmelfahrtspredigt, in der er
bewiesen, dass die sogenannten Missionen nicht nötig seien, schloss
er mit den Worten:
„Vor
Zeiten hieß es wohl: Geh hin in alle Welt!
Jetzt
aber: Bleib allda, wohin dich Gott gestellt.“
Zu den
bekannteren Lieder Neumeisters gehören noch folgende:
„Mein lieber Gott, gedenke meiner“ –
„So ist die Woche nun geschlossen“ – und
„Lasset mich voll Freuden sprechen: Ich bin ein
getaufter Christ.“
Neumeisters
Wahlspruch war Psalm 84, 12 Gott der Herr ist Sonne
und Schild! Er pflegte diesen Spruch
auch seinen Schriften zu Anfang oder am Ende einzufügen. In seinem
langen und gesegneten Leben hatte sich ihm die Wahrheit dieses
Spruches bewährt. Neumeister erfreute sich auch in seinem Alter
einer solchen körperlichen und geistigen Frische, dass er in seinem
dreiundsechzigsten Lebensjahre dankbar rühmen konnte, dass er „noch
von ebenso guten Kräften des Gemütes und Leibes sei, als er
gewesen, da er sein Amt angetreten.“ Als man freilich im Jahre 1738 nach des Seniors J. D.
Winklers Tode dem Siebenundsechzigjährigen das Seniorat antrug, bat
er den Rat, ihn mit dieser Last zu verschonen, damit er den Rest
seiner Tage in Ruhe verleben könne. Darauf wurde Pastor Palm an St.
Petri Senior. Dieser übertrug 1740 Neumeister die Ausarbeitung
eines Hamburgischen Katechismus. Sein Entwurf wurde zwar vom
Ministerium gebilligt, aber der Rat zögerte mit seiner Approbation.
Eine neue Zeit war im Anbruch und Neumeister zog sich von dieser
Arbeit zurück.
Am 30. Juni 1747 feierte er unter
Teilname ganz Hamburgs und weiter Kreise des evangelischen
Deutschlands sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum. Er selbst hielt
mit großer Frische die Jubelpredigt. Das gesamte Ministerium, das
zu dieser Feier einen
Portugalöser
mit Neumeister Bildnis
Hatte
schlagen lassen, beteiligte sich an dem Gottesdienst. Nach dem
Gottesdienst fand im Rastorenhause ein großes Freudenmahl statt.
Wie ein Patriarch saß Neumeister im Kreise seiner zahlreichen
Kinder und Enkel. Seine Frau, Johanna Elisabeth geb. Meister, mit
welcher er seit 1697 in glücklichster Ehe gelebt hatte, war im
Jahre 1740 heimgegangen. Sie hatte ihm dreizehn Kinder, acht Söhne
und fünf Töchter, geboren von denen Neumeister fünfzig Enkel
sehen durfte. Einer seiner Söhne, Erdmann Gottlieb, wurde 1739
Diakonus an St. Jakobi und als dieser schon 1742 starb, wurde ein
anderer Sohn, Erdmann Gottwert, dessen Nachfolger. Der älteste
Sohn, Erdmann Gotthold, wurde Superintendent in Eckartsberga.
Am 10 März 1750 erlebte Neumeister, das ganz Hamburg erschütternde
und betrübende Ereignis der Einäscherung der großen St.
Michaeliskirche durch einen Blitzstrahl. An dem in Veranlassung
dieses Ereignisses gefeierten außerordentlichen Fast-, Buß-, und
Bettag, am 19. März, predigte Neumeister bei sehr
volkreicher Versammlung auf Grund
von Amos 4, 11 und 12 über den
Feuereifer Gottes im Zorn und doch auch in Gnade. Zu
der nach Schluss des Gottesdienstes stattfindenden Kollekte für den
Wiederaufbau der Michaeliskirche feuerte Neumeister nach einer sehr
beweglichen Einleitung an, in dem er schloss:
„Nun
was soll ich sagen? Heraus, ihr Portugalöser! Ins Gewehr, ihr
Dukaten!“
Die Kollekte
dieses Tages ergab in sämtlichen Kirchen Hamburgs den reichen
Ertrag von 116555 Mark Court.
Noch
einige Jahre durfte er seines Amtes walten, wie er auch immer noch
literarisch tätig war. Gegen Ende des Jahres 1755 stellte sich aber
bei dem Vierundachtzigjährigen eine fast völlige Erblindung ein,
so dass er die Kanzel nicht mehr besteigen konnte. Seine letzte
Predigt hielt er am 19. Sonntag nach Trinitatis in Veranlassung des
Jubelfestes des Augsburger Religionsfriedens über Jes. 26,
2-4. Am Morgen des 18. August 1756,
wenige Wochen nach einer verfehlten Augenoperation, entschlief er
unvermutet, sanft und selig. Seine lebendige Hoffnung hatte er in
dem Liede: „Da ich mich hier eingefunden“ mit den Worten ausgesprochen:
„Jesus
lebt, so sterbe ich nicht,
Und
in solcher Zuversicht
Fahr
ich, erdensatt und müde,
Hin
zu ihm in Freud und Friede.
Seinen
Sarg hatte er schon bei Lebzeiten anfertigen lassen; er stand seit
Jahren auf seinem Saal. In seinem Testament hatte er sich gegen die
neuaufgekommene Mode der Abendleichenbegängnisse ausgesprochen und
verlangt, wie es christlich sei, am Tage beerdigt zu werden. So
geschah es auch. Nicht nur seine dreiundsechzig Kinder und Enkel,
ganz Hamburg betrauert den Tod des geliebten Mannes. Am 25. August
wurde er in der Jakobikirche feierlich beerdigt. In zahlreichen
Leichenschriften, in Poesie und Prosa wurden seine Verdienste
gepriesen und sein Tod betrauert. In der deutschen Gesellschaft zu
Leipzig wurde unter Gottscheds Vorsitz eine Trauerfeier
veranstaltet, bei welcher ein Hamburger die Gedächtnisrede hielt über
das Thema:
„Der
Ruhm eines echten Gottesgelehrten bleibt nach seinem Tode in stetem
Andenken.“
Die „Bildergalerie
Hamburgischer Männer des achtzehnten Jahrhundert“
entwirft von Neumeister folgendes Bild:
„Die Liebe und der Stolz seines Zeitalters als
Kanzelredner, asketischer Schriftsteller und Dichter; redlich,
herzlich, für alles, was er recht und gut hielt, mit ganzer Seele,
oft mit fast zu raschem Feuereifer wirksam, durch die schöne und
große Ernte langer nützlicher Aussaat der späteren Nachwelt ehrwürdig.“
So bei den Menschen. Und bei seinem
Gott wird er das Urteil empfangen haben:
„Ei, du frommer und getreuer Knecht, gehe ein zu deines Herrn
Freude.“
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